Die Kunst des Zuhörens und der Verantwortung
- Jens Alsleben Stark im Sturm
- vor 1 Tag
- 7 Min. Lesezeit

Willkommen zurück!
Alle vier Wochen gibt es hier eine etwas andere Geschichte aus dem Leben von Anna und Gustav. Sie ist inspiriert von den letzten beiden Folgen unseres Podcasts Der Säbelzahntiger.
In der heutigen Geschichte geht es um große Themen wie Verantwortung, Vorsicht und innere Werte.
Falls du noch nicht in den Podcast reingehört hast, hast du auf jeden Fall etwas verpasst. Du findest den Podcast auf Spotify: open.spotify.com/show/1WBHeOFJ37VS7OudYDYnxj
Aber natürlich auch überall wo es sonst noch Podcasts gibt wie Apple Podcasts, Amazon Music etc.
Nach der Geschichte findest du dann zwei kompakte Recherchen die sich jeweils auf eine Podcast-Folge beziehen. Am Ende stehen dann auch nochmal die Quellen damit ihr alles nachlesen könnt.
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Und jetzt ganz viel Freude mit dieser neuen Geschichte von Anna und Gustav 🐅
Die Kunst des Zuhörens und der Verantwortung
Anna starrte aus dem Konferenzraumfenster. Der Pitch war schiefgelaufen – mal wieder. Dabei hatte sie alles gegeben. Klar, das Team hatte die Entscheidung gemeinsam getroffen, aber… warum fühlte sie sich trotzdem so allein verantwortlich?
„Du wirkst angespannt“, brummte Gustav, der kleine Säbelzahntiger, während er sich auf ihren Schoß rollte.
Anna nickte. „Wir haben als Team entschieden, den Pitch aggressiv anzulegen – mutig, visionär. Aber als die Partner kritisch nachhakten, war ich die Einzige, die sich verteidigen musste. Komisch, oder?“
Gustav schnurrte. „Gar nicht so komisch. Willkommen im Club der diffundierten Verantwortung.“
Anna runzelte die Stirn. „Was meinst du?“
„Kennst du das Experiment von Wallach, Kogan und Bem?“, fragte Gustav, der sich plötzlich kerzengerade aufrichtete. „Gruppenentscheidungen führen häufig zu mehr Risikobereitschaft – nicht weil alle mutiger sind, sondern weil sich die Verantwortung auflöst wie Zucker im Tee. Man denkt: Ich war ja nicht allein schuld, wir haben es gemeinsam entschieden.“
Anna seufzte. „Heißt das, wir sind kollektiv dümmer?“
„Nicht dümmer – nur weniger vorsichtig. Und weniger ehrlich zu uns selbst.“ Gustav klopfte mit der Pfote auf ihren Notizblock. „Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Es geht nicht nur um Verantwortung. Es geht auch darum, wie wir kommunizieren.“
Er sprang auf den Tisch und kritzelte mit Annas Stift ein Quadrat auf ein Blatt Papier. „Das hier ist Schulz von Thuns Kommunikationsquadrat. Jede Nachricht hat vier Seiten: Sachinhalt, Selbstoffenbarung, Beziehung und Appell. Wenn du sagst: ‚Wir haben mutig entschieden‘, hört dein Kollege vielleicht: ‚Ich will, dass du Verantwortung übernimmst‘. Oder: ‚Ich fühle mich allein gelassen‘.“
Anna blinzelte. „Und wenn ich einfach nur ehrlich sagen würde, wie ich mich fühle…?“
„Dann wärst du auf dem besten Weg zur Stimmigkeit“, schnurrte Gustav. „Das ist Schulz von Thuns Goldstandard. Kommunikation, die zur Situation passt und mit deinem Inneren im Einklang ist.“
Anna lächelte leicht. „Aber was, wenn mein inneres Team gerade streitet? Der eine Teil will Verantwortung übernehmen, der andere hat Angst, und der Dritte schreit: ‚Sag bloß nichts, sonst verlierst du dein Gesicht!‘“
Gustav kicherte. „Ah, das innere Team! Du brauchst ein Team-Meeting – mit dem Abenteurer, dem Perfektionisten, dem Sicherheitsbeauftragten. Erst wenn du alle gehört hast, kannst du klar nach außen sprechen.“
Anna lehnte sich zurück. „Du meinst, erst wenn ich innerlich abgestimmt bin, kann ich nach außen wirklich wirksam sein?“
„Exakt. Und wenn du dabei deine Werte mitdenkst – also z.B. Mut und Demut balancierst wie Schulz von Thun im Wertequadrat beschreibt –, wirst du nicht nur klarer, sondern auch glaubwürdiger.“
„Und was mache ich jetzt mit der Schuldfrage?“, murmelte Anna. „Ich will das Team nicht bloßstellen, aber ich will mich auch nicht weiter rechtfertigen.“
Gustav rollte sich zusammen. „Sag einfach: ‚Ich übernehme meinen Teil der Verantwortung. Und ich lade euch ein, gemeinsam zu lernen, was wir nächstes Mal besser machen können.‘“
Anna lächelte. „Das klingt… stimmig.“
„Genau“, brummte Gustav. „Und nächstes Mal fragst du nicht nur: ‚Was machen wir?‘ – sondern auch: ‚Wer trägt wofür Verantwortung?‘ Dann gibt’s keine Ausreden.“
„Du meinst also: Verantwortung klar benennen, kommunizieren mit allen vier Seiten und das innere Team regelmäßig einberufen?“
Gustav schnurrte. „Und dann läuft’s wie geschmiert. Naja – meistens.“
Recherche Schulz von Thun
Überblick
Wirksame Kommunikation ist ein Schlüsselfaktor für erfolgreiche Zusammenarbeit, Führung, Konfliktlösung und Veränderungsprozesse in Organisationen. Drei psychologisch fundierte Modelle haben sich dabei besonders bewährt, um sowohl das Verständnis für zwischenmenschliche Kommunikation zu vertiefen als auch die kommunikative Kompetenz im beruflichen Kontext zu fördern.
1. Kommunikationsmodell mit vier Dimensionen
Jede Äußerung enthält vier verschiedene Bedeutungsebenen:
Sachinhalt: Die reine Information oder der Inhalt der Aussage.
Selbstoffenbarung: Was die sprechende Person über sich selbst mitteilt (z. B. Gefühle, Werte, Absichten).
Beziehungshinweis: Wie die sprechende Person zum Gegenüber steht oder was sie über die Beziehung ausdrückt.
Appell: Was die sprechende Person beim Gegenüber bewirken will.
Empfangende Personen interpretieren Aussagen oft unterschiedlich – je nachdem, mit welchem „Ohr“ (z. B. dem Sach-Ohr oder dem Beziehungs-Ohr) sie zuhören. Das Modell hilft, Missverständnisse zu analysieren und bewusster zu kommunizieren – etwa in Change-Prozessen, Feedbackgesprächen oder Teammeetings.
2. Das Konzept des inneren Teams
Jeder Mensch trägt verschiedene innere Stimmen oder Persönlichkeitsanteile in sich – z. B. den inneren Kritiker, den Abenteurer, den Bewahrer. Diese Stimmen stehen oft im Widerspruch, vor allem in Entscheidungssituationen oder unter Druck.
Das Modell unterstützt:
Selbstklärung und Entscheidungsfindung, indem innere Widersprüche sichtbar gemacht werden.
Stimmigkeit in der Kommunikation – also die Übereinstimmung zwischen innerem Zustand, Aussage und Kontext.
Authentizität, indem alle relevanten inneren Stimmen gehört und integriert werden, bevor eine Aussage nach außen geht.
Das innere Team lässt sich wie ein echtes Team führen – durch innere Teammeetings, Moderation und Rollenklärung.
3. Das Wertequadrat
Stärken und Persönlichkeitsmerkmale entfalten ihre konstruktive Wirkung erst im Spannungsfeld mit einem „Schwestermotiv“:
Beispiel: Konsequenz braucht Geduld, Selbstbewusstsein braucht Bescheidenheit.
Wird ein Wert überbetont, kann er ins Gegenteil kippen:
Zuviel Selbstbewusstsein wirkt arrogant, zu viel Bescheidenheit kann zur Selbstverleugnung führen.
Das Modell hilft, persönliche und zwischenmenschliche Spannungen zu reflektieren, z. B. in Konflikten oder bei der Führung von vielfältigen Teams. Es wird auch in Coaching, Personalentwicklung und Organisationsdiagnostik genutzt.
Relevanz für die Praxis
Die genannten Modelle kombinieren psychologische Theorie mit hoher Anwendbarkeit:
Sie fördern Selbstreflexion, klare Kommunikation und gelingende Beziehungen.
Sie sind anschlussfähig für Trainings, Führungskräfteentwicklung, Teamentwicklung und Organisationsberatung.
Sie unterstützen die Übersetzung komplexer innerer Prozesse in sichtbares Verhalten.
Besonders in Organisationen mit hoher Veränderungsdynamik, vielfältigen Interessen und steigendem Kommunikationsdruck leisten sie einen wirksamen Beitrag zur Verbesserung von Verständigung, Vertrauen und Zusammenarbeit.
Fazit
Wirkungsvolle Kommunikation ist erlernbar – vorausgesetzt, sie wird nicht als Technik, sondern als Ausdruck innerer Klarheit und Beziehungsfähigkeit verstanden. Die hier beschriebenen Konzepte ermöglichen es, Kommunikation bewusst zu gestalten, Missverständnisse zu minimieren und berufliche Beziehungen tragfähig zu entwickeln.
Quellen
Bünzli, F., & Eppler, M. J. (2024). Spotlight on a Thought Leader - How to Become an Effective Communicator: Schulz von Thun’s Contribution to Business Communication. International Journal of Business Communication, 61(2), 484-491. https://doi.org/10.1177/23294884231224118
Recherche zu psychologischen Faktoren
Überblick
In Arbeitsgruppen, Führungsteams und Organisationen sind psychologische Faktoren wie Sicherheit, Verantwortlichkeit und soziale Dynamiken maßgeblich dafür verantwortlich, ob Lernen, Risikoübernahme und Veränderung gelingen. Drei bedeutende Forschungsbeiträge untersuchen diese Zusammenhänge aus unterschiedlichen Perspektiven und liefern empirische Grundlagen für die Arbeit mit Teams in dynamischen, komplexen oder fehleranfälligen Umgebungen.
1. Psychologische Sicherheit als Grundlage für Lernen in Teams
Zentrale Konzepte
Psychologische Sicherheit ist das geteilte Vertrauen in einem Team, dass man zwischenmenschliche Risiken (z. B. Fragen stellen, Fehler zugeben) eingehen kann, ohne sich bloßzustellen.
Lernverhalten im Team wird definiert als aktives Feedbacksuchen, das offene Ansprechen von Fehlern, Informationsaustausch und Experimentierbereitschaft.
Team-Effizienz allein reicht nicht – entscheidend ist, ob psychologische Sicherheit vorherrscht, um Lernverhalten überhaupt zu ermöglichen.
Erkenntnisse
Psychologische Sicherheit fördert das Lernverhalten von Teams messbar.
Lernverhalten ist ein zentraler Mediator zwischen psychologischer Sicherheit und Teamleistung.
Kontextfaktoren wie Coaching durch die Führungskraft und Zugang zu Ressourcen sind wichtige Einflussfaktoren auf psychologische Sicherheit.
Praxisbezug
Das Modell hilft zu erklären, warum selbst leistungsfähige Teams versagen können, wenn ein Klima des Schweigens herrscht. Es bietet konkrete Ansatzpunkte für Führung, Teamentwicklung und Organisationsdesign.
2. Verantwortungsdiffusion und Eskalation von Fehlentscheidungen
Zentrale Konzepte
Wenn individuelle Verantwortung für Fehlentscheidungen empfunden wird, neigen Menschen dazu, an schlechten Entscheidungen festzuhalten („es doch noch beweisen wollen“).
In Gruppenentscheidungen hingegen wird Verantwortung aufgeteilt – das kann den Impuls zur Rechtfertigung verringern und damit Eskalationstendenzen senken.
Selbstrechtfertigung ist ein zentraler psychologischer Mechanismus, der zu irrationalem Festhalten an Verlustprojekten führen kann – sie wirkt stärker bei Einzelverantwortung.
Erkenntnisse
Personen, die eine Entscheidung allein getroffen haben, investieren tendenziell mehr Folgeinvestitionen in gescheiterte Projekte („Escalation of Commitment“) als Personen, die in einer Gruppe entschieden haben.
Gruppenentscheidungen führen zu geringerer Risikobereitschaft, wenn Verantwortung geteilt werden kann.
Die Möglichkeit, Schuld abzutreten oder Verantwortung zu teilen, reduziert den psychologischen Druck, den eigenen Kurs zu verteidigen.
Praxisbezug
Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung von geteilten Entscheidungsprozessen in Organisationen, insbesondere bei risikobehafteten Investitionen oder strategischen Weichenstellungen.
3. Gruppenentscheidungen und Risikoverhalten
Zentrale Konzepte
Gruppen treffen häufig riskantere Entscheidungen als Einzelpersonen.
Die Ursache liegt in der sogenannten Verantwortungsdiffusion – das Gefühl, dass man „nicht allein“ verantwortlich ist, senkt die Hemmung vor riskanten Handlungen.
Das kollektive Entscheiden verändert die Gewichtung von Risiko und Verantwortung.
Erkenntnisse
In Experimenten mit realen finanziellen Einsätzen zeigte sich, dass Gruppen höhere Risiken eingehen, wenn die Konsequenzen gemeinsam getragen werden.
Dieser Effekt tritt selbst dann auf, wenn man von außen eine konservativere Haltung erwarten würde.
Gruppenverantwortung kann jedoch auch zu vorsichtigerem Verhalten führen, wenn individuelle Konsequenzen für andere Gruppenmitglieder deutlich spürbar sind.
Praxisbezug
Das Verständnis von Gruppen-Risikodynamiken ist relevant für Entscheidungsprozesse in Projektteams, Führungsrunden und Risikoausschüssen. Es kann erklären, warum Teams manchmal „mutiger“ agieren – oder in kritischen Momenten zögern.
Fazit
Die drei Forschungsperspektiven ergänzen sich und verdeutlichen:
Psychologische Sicherheit fördert Lernverhalten und Teamleistung.
Verantwortungsdiffusion kann Risiko entweder reduzieren (bei Eskalation) oder erhöhen (bei Gruppenentscheidungen).
Eine bewusste Gestaltung von Kommunikationsklima, Entscheidungsprozessen und Verantwortungszuweisung ist entscheidend für die Leistungsfähigkeit von Teams und Organisationen.
Quellen
Wallach, Michael A.; Kogan, Nathan; Bem, Daryl J. (1964). Diffusion of responsibility and level of risk taking in groups.. The Journal of Abnormal and Social Psychology, 68(3), 263–274. doi:10.1037/h0042190
Whyte, Glen (1991). Diffusion of responsibility: Effects on the escalation tendency.. Journal of Applied Psychology, 76(3), 408–415. doi:10.1037/0021-9010.76.3.408
Edmondson, A. (1999). Psychological Safety and Learning Behavior in Work Teams. Administrative Science Quarterly, 44(2), 350-383. https://doi.org/10.2307/2666999 (Original work published 1999)
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