An einem sonnigen Tag saß Gustav entspannt auf einer Picknickdecke im Park, umgeben von ein paar Teambüchern und Notizen. Anna, sichtlich aufgewühlt, kam auf ihn zu und ließ sich neben ihm nieder.
„Gustav,“ begann sie, „mein neuer Teamleiter ist völlig begeistert von dieser Idee der ‚radikalen Offenheit‘. Er will, dass jeder im Team seine ungeschönte Meinung sagt, egal, wie unangenehm das ist.“
Gustav hob eine Augenbraue und schnurrte nachdenklich. „Und wie läuft das für euch?“
Anna seufzte. „Naja, theoretisch klingt es gut. Aber in der Praxis hat es zu vielen Spannungen geführt. Die Leute fühlen sich angegriffen, und die Stimmung ist schlechter als je zuvor. Was denkst du darüber?“
Gustav streckte seine Pfote aus und deutete auf einen nahegelegenen Baum. „Siehst du diesen Baum? Er ist stark und widerstandsfähig, weil seine Wurzeln tief und fest verankert sind. Aber wenn ein Sturm zu heftig wird, können selbst die stärksten Äste brechen. Radikale Offenheit ist wie ein heftiger Sturm – es bringt frischen Wind, aber wenn es zu extrem wird, kann es die Struktur eines Teams beschädigen.“
„Das klingt logisch,“ sagte Anna und nickte nachdenklich. „Aber mein Teamleiter denkt, dass diese Art von radikaler Ehrlichkeit uns helfen wird, schneller zu besseren Entscheidungen zu kommen.“
„Es stimmt, dass Offenheit wichtig ist,“ antwortete Gustav. „Aber es gibt einen Unterschied zwischen Offenheit und radikaler Transparenz. Menschen brauchen ein gewisses Maß an Schutz, um Vertrauen aufzubauen. Wenn jeder ständig damit rechnen muss, in Frage gestellt oder kritisiert zu werden, entstehen Spannungen und Misstrauen.“
Anna zog ihre Beine an und sah Gustav an. „Aber wie schafft man dann eine Balance? Wie können wir ehrlich zueinander sein, ohne die Beziehungen zu zerstören?“
Gustav lächelte weise. „Es geht darum, Respekt und Feingefühl zu bewahren. Eine Kultur der Offenheit sollte darauf abzielen, konstruktive und respektvolle Gespräche zu fördern, nicht ungebremste Kritik. Man muss lernen, Feedback so zu geben, dass es dem Empfänger hilft, ohne ihn zu verletzen. Es geht darum, das Team zu stärken, nicht auseinanderzureißen.“
Anna nickte langsam. „Also sollten wir uns eher auf respektvolle Offenheit konzentrieren, anstatt auf radikale Ehrlichkeit, richtig?“
„Genau,“ sagte Gustav. „Gute Führung bedeutet, die Balance zwischen Ehrlichkeit und Einfühlungsvermögen zu finden. Es geht nicht darum, jede Wahrheit ohne Rücksicht auf Verluste auszusprechen, sondern darum, Menschen zu helfen, gemeinsam zu wachsen.“
Anna lächelte erleichtert. „Danke, Gustav. Ich glaube, ich weiß jetzt, wie ich das Thema in unserem nächsten Teammeeting ansprechen kann.“
Gustav schnurrte zufrieden. „Sehr gut, Anna. Denk daran – ein bisschen Feingefühl kann viel bewirken, um den Wind in den Segeln zu behalten, ohne den Baum zu brechen.“
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