Im Nebel führen
- Jens Alsleben Stark im Sturm
- vor 2 Tagen
- 2 Min. Lesezeit

„Also Gustav, ganz ehrlich“, seufzte Anna und ließ sich auf das Sofa fallen. „Wie soll ich denn morgen dem Team erklären, dass ich auch keine Ahnung habe, wie es weitergeht? Ich bin doch die Führungskraft. Ich sollte Antworten haben.“
Gustav blinzelte langsam. „Weißt du, wer in der Antike der angesehenste Führer war?“
„Wenn du jetzt wieder mit einem Tiger kommst, der in Rom Senator war, dann–“
„Nein, nein“, unterbrach er sie. „Es war der, der in der Nebelwand voranging – mit ruhiger Stimme und einem brennenden Ast in der Hand. Nicht, weil er den Weg kannte. Sondern weil er den anderen sagte: Ich geh voran. Ich sage euch, was ich sehe. Und ich sag euch auch, was ich nicht sehe.“
Anna sah ihn an. „Also… radikale Ehrlichkeit?“
„Nicht radikal. Nur klar. Fang an mit: Das wissen wir gerade. Dann: Das wissen wir nicht. Und dann: Ich verspreche euch, sobald ich mehr weiß, bekommt ihr es zuerst.“
Anna nickte langsam. „Und damit ist schon viel getan.“
„Und dann“, fuhr Gustav fort, „gib ihnen eine Aufgabe. Was sie jetzt tun können. Damit sie nicht im eigenen Kopfkarussell feststecken.“
Anna lächelte schmal. „Und danach Fragen zulassen. Auch die unangenehmen.“
„Und zum Schluss: Danke. Für Vertrauen. Für den Mut, trotzdem weiterzumachen.“ Gustav sprang auf das Fensterbrett. „Klingt nach Führung in der Unsicherheit, findest du nicht?“
„Ja.“ Anna atmete tief durch. „Nicht stark tun. Sondern ehrlich stark sein.“
„Genau“, sagte Gustav. „Und wenn der Nebel sich lichtet, werden sie sagen: Wir sind da durchgegangen. Weil sie mit uns gesprochen hat. Nicht obwohl, sondern weil sie nicht alles wusste.“
Anna nickte. „Danke, Gustav.“
„Immer gern“, schnurrte er. „Ich bin schließlich Experte für dunkle Höhlen und dichten Nebel.“
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