Wenn es wirklich zählt

Jens Alsleben Stark im Sturm
18. Feb.
2 Min. Lesezeit

Anna saß in ihrem Büro, als die E-Mail in ihrem Posteingang aufploppte. Eine kurze Nachricht, fast unscheinbar: Ein langjähriger Kollege aus einer anderen Abteilung ging in den Ruhestand. Es würde eine kleine Abschiedsfeier in der Kantine geben.

Sie überflog die Nachricht und dachte: Ich sollte vielleicht eine Karte schicken. Oder ein kleines Geschenk organisieren.

„Typisch“, murmelte eine Stimme von der Fensterbank.

Anna sah auf. Gustav, der geschrumpfte Säbelzahntiger, saß da, die Pfoten übereinandergeschlagen, und musterte sie kritisch. „Du denkst darüber nach, etwas zu schicken. Aber du denkst nicht daran, selbst hinzugehen.“

Anna seufzte. „Ich kenne ihn kaum. Und es gibt so viele Meetings heute …“

Gustav schüttelte den Kopf. „Genau das ist der Punkt. Jeder taucht zu den großen Veranstaltungen auf – den Award-Zeremonien, den großen Jubiläen. Aber wer kommt zu den kleinen Momenten? Wer macht sich die Mühe, einfach nur da zu sein, wenn niemand damit rechnet?“

Anna zögerte. „Meinst du wirklich, das macht einen Unterschied?“

„Absolut“, sagte Gustav. „Menschen erinnern sich nicht an E-Mails oder Blumensträuße. Sie erinnern sich daran, wer tatsächlich erschienen ist. Wer sich die Zeit genommen hat, auch wenn es unbequem oder unpraktisch war.“

Anna lehnte sich zurück und dachte an ihre eigene Karriere zurück. Die Momente, die ihr wirklich in Erinnerung geblieben waren, waren nicht die großen Veranstaltungen mit glitzernden Reden – es waren die stillen Gesten. Die Kollegin, die sich nach einem schweren Projekt hingesetzt hatte, um ihr einfach nur zuzuhören. Der Chef, der nach einem persönlichen Verlust unangekündigt vorbeikam, um zu fragen, wie es ihr ging.

„Also sagst du, gute Führung zeigt sich nicht in den offensichtlichen Momenten, sondern in denen, in denen niemand damit rechnet?“

Gustav schnurrte. „Ganz genau. Die besten Anführer schicken keine Blumen. Sie bringen sie selbst.“

Anna nahm sich die Einladung zur kleinen Feier noch einmal vor. Dann stand sie auf. „Dann werde ich wohl besser hingehen.“

Gustav zwinkerte. „Das wird er nie vergessen.“