Die Kunst des kleinen Anstoßes

Jens Alsleben Stark im Sturm
23. Feb.
2 Min. Lesezeit

Anna stand mit verschränkten Armen im Flur des Büros und betrachtete kopfschüttelnd den überquellenden Kühlschrank in der Gemeinschaftsküche. „Habe ich nicht erst letzte Woche eine E-Mail geschrieben, dass jeder seine alten Lebensmittel entfernen soll?“

Gustav, der geschrumpfte Säbelzahntiger, saß auf der Fensterbank und beobachtete sie mit einem amüsierten Blick. „Oh Anna, du solltest wissen, dass eine E-Mail allein selten Wunder bewirkt. Menschen brauchen manchmal einen kleinen Schubs in die richtige Richtung.“

„Einen Schubs?“ Anna drehte sich zu ihm um.

„Ja, einen Nudge, wie die Verhaltensforscher sagen“, erklärte Gustav. „Kleine, subtile Hinweise, die Menschen sanft dazu bewegen, das Richtige zu tun – ohne, dass sie es bewusst merken.“

„Also soll ich etwa ein Schild aufhängen? Ich habe schon oft Nachrichten geschrieben, aber keiner hält sich daran.“

„Ah, aber hast du es richtig formuliert?“ fragte Gustav. „Du solltest es mal mit einem psychologischen Trick versuchen.“

Er sprang auf den Tisch und zog mit seiner Tatze eine unsichtbare Linie in die Luft. „Statt zu schreiben: Bitte räumt eure alten Lebensmittel aus dem Kühlschrank, versuche es mit: Danke an alle, die den Kühlschrank sauber halten!“

Anna zog die Augenbrauen hoch. „Warum sollte das einen Unterschied machen?“

„Ganz einfach“, sagte Gustav. „Wenn du den Leuten für etwas dankst, das sie noch nicht getan haben, fühlen sie sich innerlich verpflichtet, es tatsächlich zu tun. Ben Franklin hat das schon vor Jahrhunderten erkannt.“

„Das klingt fast zu einfach“, murmelte Anna.

„Und doch funktioniert es!“ Gustav grinste. „Denk mal an die Forschung: Ein Schild mit Augen reduziert Diebstahl. Musik aus Frankreich sorgt dafür, dass mehr französischer Wein gekauft wird. Menschen essen größere Portionen, wenn sie als ‚klein‘ bezeichnet werden. Alles basiert auf Nudging.“

Anna dachte nach. „Also könnte ich auch sagen: ‚Danke an alle, die unser neues Verkaufsverfahren konsequent umsetzen‘, um das Team zur Mitarbeit zu bewegen?“

„Genau! Oder ‚Danke, dass ihr euch heute offen und ehrlich in der Besprechung einbringt‘ – dann fühlen sich die Leute ermutigt, tatsächlich offener zu sprechen.“

Anna schüttelte lachend den Kopf. „Ich kann nicht glauben, dass ich nicht früher darauf gekommen bin.“

„Nudges sind mächtig, wenn man sie richtig einsetzt“, schnurrte Gustav. „Manchmal brauchen Menschen nur einen kleinen Anstoß, um ihr bestes Verhalten zu zeigen.“

Anna holte einen Filzstift und schrieb auf ein weißes Blatt Papier:

„Danke an alle, die dafür sorgen, dass unser Kühlschrank sauber bleibt!“

Sie pinnte es an die Tür des Kühlschranks und drehte sich zu Gustav. „Wetten, dass der Kühlschrank nächste Woche leerer ist?“

„Wetten, dass ich nächste Woche mehr Thunfisch bekomme?“ erwiderte Gustav mit einem breiten Grinsen.