Die Kunst der Ungeduld
- Jens Alsleben Stark im Sturm
- 5. März
- 3 Min. Lesezeit

Anna saß an ihrem Schreibtisch und starrte auf die Liste unerledigter Aufgaben, die scheinbar länger wurde, je länger sie darauf schaute. Ihre Stirn war in tiefe Falten gelegt, die Finger trommelten ungeduldig auf die Tischplatte. „Warum kriegen wir das nicht schneller hin?“, murmelte sie vor sich hin, während sie auf den Fortschrittsbalken starrte, der sich quälend langsam füllte.
Gustav, der sich lässig auf einem Stapel Papier zusammengerollt hatte, öffnete ein grünes Auge und blinzelte. „Wenn du es noch intensiver anstarrst, bleibt es vielleicht ganz stehen.“
Anna seufzte und lehnte sich zurück. „Ich verstehe einfach nicht, warum alles so lange dauert. Ich habe so klar kommuniziert, was ich brauche, und trotzdem scheint niemand den nötigen Druck zu verspüren.“
„Druck ist relativ“, schnurrte Gustav. „Vielleicht spüren sie deinen Druck, aber nicht auf die Weise, die du dir wünschst.“
„Was soll das heißen?“ Anna runzelte die Stirn.
Gustav streckte sich gemächlich und ließ seine Krallen über das Papier schaben. „Nun, wie äußerst du deine Ungeduld?“
Anna dachte kurz nach. „Ich frage, warum die Deadlines nicht eingehalten werden, und ich betone, wie wichtig es ist, schneller und effizienter zu arbeiten.“
„Aha.“ Gustav grinste. „Und wie reagieren sie darauf?“
„Sie werden defensiv. Manchmal höre ich sogar ein paar Ausreden. Und ich habe das Gefühl, dass sie nur noch hektischer arbeiten, aber die Qualität leidet darunter.“
„Genau das habe ich mir gedacht“, sagte Gustav und setzte sich aufrecht hin. „Weißt du, Ungeduld ist nichts Schlechtes. Sie zeigt, dass dir die Ergebnisse wichtig sind. Aber du machst einen kleinen Fehler – du richtest deine Ungeduld nach außen.“
Anna blinzelte verwirrt. „Wie soll ich sie denn sonst ausdrücken? Sie sind doch die, die langsamer sind als geplant.“
„Das mag sein“, schnurrte Gustav. „Aber wenn du willst, dass sie motiviert und nicht eingeschüchtert sind, musst du die Perspektive ändern. Stell dir vor, du würdest sagen: Was kann ich tun, um euch zu helfen, das bis Freitag zu schaffen? oder Welche Ressourcen fehlen euch, um schneller voranzukommen?“
Anna starrte ihn an. „Das klingt fast… kooperativ.“
„Es ist kooperativ“, bestätigte Gustav. „Es zeigt, dass du nicht sie als Person anklagst, sondern dass du eine Lösung für das Problem suchst. Und wenn du sagst: Ich frage mich, ob ich etwas anders machen muss, damit das Team effektiver arbeitet, dann fühlen sie sich nicht angegriffen. Im Gegenteil – sie wollen dir helfen, weil sie sehen, dass du an ihrer Seite stehst.“
Anna ließ das sacken. „Also sagst du, ich soll meine Ungeduld gegen mich selbst richten?“
Gustav nickte weise. „Ja. Das Problem ist nicht, dass du ungeduldig bist. Das Problem ist, dass sie denken, du seist mit ihnen als Person unzufrieden. Dabei bist du nur mit den Ergebnissen unzufrieden. Dieser Unterschied macht alles aus.“
„Hm… das könnte tatsächlich funktionieren.“ Anna sah nachdenklich auf die Liste. „Wenn ich frage, wie ich helfen kann, dann motiviere ich, anstatt Druck auszuüben.“
„Und sie fühlen sich nicht beschuldigt“, ergänzte Gustav. „Sie sehen, dass du an ihrer Seite bist. Dass du mit ihnen kämpfst und nicht gegen sie.“
Anna lehnte sich zurück und ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. „Weißt du, Gustav, du hast eine sehr eigene Art, mir die Dinge klarzumachen.“
Gustav grinste verschmitzt. „Nenn es einfach die Weisheit des Säbelzahntigers.“
Anna lachte. „Ich werde es ausprobieren. Mal sehen, wie sie auf die neue, kooperative Anna reagieren.“
„Ich wette, sie werden dir folgen – und zwar aus Überzeugung, nicht aus Angst vor deiner Ungeduld.“
„Du bist wirklich ein Meister der Motivation.“
„Und du“, Gustav sprang vom Tisch und landete elegant auf dem Boden, „bist eine Meisterin des Wandels – wenn du es nur zulässt.“
Anna sah ihm nach, während er gemächlich zur Tür schlenderte. „Wer hätte gedacht, dass eine kleine Katze so viel Führungskompetenz hat?“
„Säbelzahntiger“, korrigierte Gustav und verschwand um die Ecke. „Und vergiss nicht: Geduld ist manchmal die schnellste Lösung.“
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