Die Illusion des perfekten Teams
- Jens Alsleben Stark im Sturm
- 16. Feb.
- 2 Min. Lesezeit

Anna saß im Meetingraum und beobachtete, wie ihre Kolleginnen und Kollegen eifrig nickten. Ein Vorschlag nach dem anderen wurde ohne Widerstand durchgewunken. Alles schien harmonisch – vielleicht zu harmonisch.
Gustav, der geschrumpfte Säbelzahntiger, saß auf einem Stapel ausgedruckter Berichte und blinzelte sie an. „Irgendwas stimmt hier nicht, oder?“
Anna seufzte. „Alle scheinen sich einig zu sein. Das ist doch gut, oder?“
Gustav schüttelte den Kopf. „Ist es das? Oder sitzen wir hier in einer perfekten Illusion?“
Anna runzelte die Stirn. „Wie meinst du das?“
„Falsche Harmonie“, erklärte Gustav. „Das sieht von außen aus wie Einigkeit, ist aber eigentlich nur Angst vor Konflikten. Alle nicken, aber unter dem Tisch sind die Finger gekreuzt.“
Anna ließ den Blick durch den Raum schweifen. Sie erinnerte sich an vergangene Meetings – an die hitzigen Diskussionen, die früher geführt wurden. Doch seit einiger Zeit war alles ruhiger geworden. Zu ruhig.
„Denk mal nach“, fuhr Gustav fort. „Wann hast du das letzte Mal erlebt, dass jemand in dieser Runde wirklich eine kritische Frage gestellt hat? Wann gab es eine echte Debatte?“
Anna runzelte die Stirn. „Stimmt … selbst bei großen Entscheidungen gibt es kaum noch Gegenstimmen. Aber warum sollte jemand seine Meinung zurückhalten?“
„Weil es bequemer ist“, sagte Gustav. „Viele Teams verwechseln Harmonie mit Produktivität. Sie vermeiden Diskussionen, um den Frieden zu wahren. Dabei übersehen sie, dass sie damit auch den Fortschritt blockieren.“
Anna lehnte sich zurück. „Also täuschen wir uns alle gegenseitig?“
„Nicht absichtlich“, antwortete Gustav. „Aber die Dynamik setzt sich fest. Wenn niemand den ersten Schritt macht und kritische Fragen stellt, bleibt jeder in dieser falschen Harmonie gefangen.“
Anna dachte nach. Sie erinnerte sich an ein kürzliches Projekt, bei dem es hinterher viele Beschwerden gab – aber nicht während der Besprechung, sondern in Kaffeeküchengesprächen. „Und was passiert, wenn das so weitergeht?“
„Dann entstehen passive-aggressive Verhaltensweisen“, sagte Gustav. „Die Leute sagen Ja im Meeting und lästern danach. Sie spielen die Teamplayer, fühlen sich aber innerlich frustriert.“
Anna nickte langsam. „Das erklärt einiges. Aber wie durchbreche ich das?“
Gustav grinste. „Du musst eine neue Kultur etablieren. Fördere offene Diskussionen. Bitte dein Team vor Meetings, ihre Meinung vorab schriftlich festzuhalten – so müssen sie sich wirklich damit auseinandersetzen. Und, ganz wichtig: Verbiete stilles Einverständnis ohne echte Überzeugung.“
Anna dachte nach. „Ich könnte auch eine Regel einführen: Jeder muss mindestens einmal pro Meeting eine kritische Frage stellen oder einen Alternativvorschlag machen.“
„Großartige Idee!“ Gustav schnurrte zufrieden. „Wahre Harmonie entsteht nicht durch Vermeidung von Konflikten, sondern durch den Mut, offen zu sprechen.“
Anna atmete tief durch. Es war Zeit, die Illusion zu durchbrechen. In der nächsten Sitzung würde sie das Team herausfordern – für eine Kultur, in der echte Diskussionen wieder ihren Platz hatten.
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